02/07/2024 0 Kommentare
Vom Licht- und Luftbad an der Spree
Vom Licht- und Luftbad an der Spree
# THEOLOGIE DER STADT

Vom Licht- und Luftbad an der Spree
Manuela Fuelle
Man kann überall beten, sagen wir, und dort, wo ich herkomme, mussten wir das auch. Wir liefen in den Garten, kletterten über Zäune, spazierten durch die köllnische Heide, gingen zum Bäcker und in die Kaufhalle, doch zur Kirche gingen wir nie, weil wir keine hatten. Wir hatten ein Freibad,Strandbad Oberspree genannt. Dorthin marschierten wir nach der Schule und an Sonn- und Feiertagen, bepackt mit Badesachen und Sonnenschirm. Obwohl sich später herausstellte, dass die Spree gerade in dieser Zeit vergiftetes Wasser führte und zum Baden leider ungeeignet war, befanden wir uns mitten im Paradies, sobald wir unser geliebtes Strandbad betreten hatten. Es roch nach Sonnenöl und Bratwürsten und von überall klang Kinderlachen herüber. Und wir warfen unser Lachen wie einen Ball zurück.
Eines Tages – ich kam allein von der Schule und freute mich über das paradiesische Badewetter – erblickte ER mich, angelte mich sein Auge. Blinzelnd drehte ich mich um mich selbst, ich wollte den sehen, der mich sah, konnte jedoch niemanden entdecken. Angekommen im Strandbad, begann ich damit den Unsichtbaren zu suchen. Ich suchte IHN unter den Decken, hinter den Buden, auf der Wiese, im Wasser und Gras kauend in den Wolken. Später dehnte ich meine Suche systematisch aus; unser Bad aber soll man kurz vor der Schließung noch in Licht- und Luftbad Oberspree umgetauft haben, und das finde ich sehr passend.
Manuela Fuelle, geboren 1963 in Berlin. Theologiestudium in Greifswald und Berlin sowie des Literarischen Schreibens am Studio Literatur und Theater der Universität Tübingen. Fünf Jahre Lehrerin an Berliner Gymnasium, danach freie Autorin, Kuratorin und Moderatorin. Seit 2010 moderiert sie das Literarische Werkstattgespräch, seit 2012 kuratiert und moderiert sie u.a. die „Lange Nacht der Freiburger Literatur“ im Literaturbüro Freiburg. Lebt mit ihrer Familie in Freiburg. Erhielt 2007 das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste (Berlin) und veröffentlichte 2011 - „Fenster auf, Fenster zu“ ihren ersten Roman, im Herbst 2016 erscheint der Episodenroman „Luftbad Oberspree“.
Foto: Nailia Schwarz / fotolia.com
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